Der Mensch als nackter Affe
Editorial
Als der amerikanische Zoologe Desmond Morris 1967 sein Buch Der nackte Affe veröffentlichte, löste er damit noch einen Aufschrei kollektiver Entrüstung aus. Man empfand es als empörend, wie Morris den Menschen als triebgesteuertes Tier darzustellen versuchte. Heute wäre es wohl nicht mehr möglich, mit solchen Thesen eine vergleichbare Aufregung hervorzubringen. Wir haben uns Morris’ biologistisches Menschenbild mittlerweile stillschweigend zu eigen gemacht. Wir gehen dazu über, uns selbst als Tiere zu verstehen. Die Konsequenzen, die wir daraus ziehen, sind unübersehbar und reichen von der rein genetischen Erklärung von Intelligenz und Kriminalität bis zur Forderung nach Menschenrechten für Primaten. Das jedenfalls ist die These, die Peter Heuer in dieser Ausgabe des PHILOKLES vertritt. Die Widerworte stammen von Nikos Psarros, der sich ein deutlicheres eigenes Menschenbild Heuers wünscht, von Felix Rauschmayer, der die Möglichkeit von Anthropologie angesichts der Vielfalt von Perspektiven auf den Menschen grundsätzlich skeptisch beurteilt, von Bettina Relke, die die Medizin gegen den Vorwurf, den Menschen einseitig zu sehen, in Schutz nimmt, sowie von Martin Schlegel, der die Berechtigung eines biologischen Menschenbildes gegen den Biologismus ebenso verteidigen möchte wie gegen einen überzogenen philosophischen Anti-Biologismus. Unterstützt wird Heuers These hingegen indirekt von Sven Hansen, der die Ausstellung Körperwelten besucht hat und seine Eindrücke schildert. Übrigens: Man kann gegen die Gleichsetzung von Menschen mit Menschenaffen sein und sich trotzdem für den Schutz von Primaten einsetzen. Das meint jedenfalls Michael Tomasello, der PHILOKLES von den faszinierenden Ergebnissen des Vergleichs von Primaten- und Kleinkindverhalten erzählte. Dass Wissenschaftsgläubigkeit, Biologismus und Materialismus keine ganz neuen Phänomene sind, zeigt ein Blick in unsere Leseprobe, in der Jean Paul ganz ähnliche Theorien seiner gelehrten Zeitgenossen bis ins Absurde und damit zu Ende denkt. Wie man es in der Anthropologie besser macht, hat Wilhelm Kamlah vorgeführt, an dessen anthropologisches Werk von 1973 Heuer in einer Rezension erinnert. Bereichert wird unser Heft diesmal durch Skizzen und Entwürfe von Gunther Bachmann, in denen er versucht, eine ganz eigene Sicht auf den Zusammenhang und die Spannungen zwischen Philosophie und Naturwissenschaften zu entwickeln.
Henning Tegtmeyer
Aus dem Inhalt
Interview
mit Michael Tomasello: „Sie zeigen nur auf Dinge, die sie haben wollen“ – Kognition bei Menschen und Menschenaffen.
Haupttext
Peter Heuer: Der Mensch als nackter Affe. Eine kritische Betrachtung des naturwissenschaft- lichen Menschenbildes.
Kommentare
von N. Psarros, F. Rauschmayer, B. Relke und M. Schlegel
Kolumne
S. Hansen: Körperwelten