Heft 20 (2014): Zeit

Zeit cache_31448153

Interview
Das Maß der Zeit. Peter Janich im Gespräch mit PHILOKLES über das richtige Verständnis von Zeit und die Rolle der Zeitmessung

Aufsätze
Wo ist die Zeit, bevor sie gemessen wird? Über das Verhältnis von Bewegung und Zeit bei Aristoteles  (Michael Vogt)

Zeitallgemeinheit und Zeitlichkeit im Weltbezug und Weltverlauf. Überlegungen zum Zeitbegriff im Anschluss an Hegel  (Pirmin Stekeler-Weithofer)

McTaggarts Irrealität der Zeit  (Claudia Reich)

Das Wesen der Zeit  (Nikos Psarros)

Zeit und (menschliche) Existenz  (Andreas Luckner)

Rezension 
Ursula Coopes Time for Aristotle  (Michael Frey)

Leseprobe
Augustinus: Bekenntnisse, Elftes Buch  (ausgewählt und vorgestellt von Peter Heuer)

Das Heft zum Download


Editorial

PHILOKLES erscheint diesmal nicht als Diskussionsheft. Vielmehr wurden fünf Aufsätze zusammengestellt, in denen es in vielfältiger Weise um ‚Zeit‘ geht. Auch wenn ‚Zeit‘ nicht an die ganz großen metaphysischen Themen, wie etwa Welt, Seele oder Gott heranreicht, ist sie doch ein wirkliches philosophisches Problem. Zeit, das lernen bereits Kinder, kann man nicht sehen und anfassen, aber irgendwie gibt es sie doch. Um sich ihrer zu vergewissern, muss man nachdenken, d. h. philosophieren. Zeit ist all­ge­gen­wärtig und so liegt es nahe, an ihrem Beispiel in die Seinsweise geis­tiger, abstrakter Gegenstände vorzudringen.

Über die Seinsweise abstrakter Gegenstände ist man sich innerhalb der Philosophie von jeher uneins. Es gibt drei prominente Positionen: den Nominalismus, den Rea­lismus und den Konzeptualismus. Nominalisten mei­nen, abstrakte Gegenstände seien nicht real existent, sondern nur im menschlichen Bewusstsein vorhanden. Realisten vertreten die gegenteilige Position, sie behaupten eine vom Bewusstsein unabhängige Realexistenz abstrakter Gegenstände. Konzeptualisten versuchen, einen Mittelweg zu gehen.

Michael Vogt führt seine Leser in die Zeittheorie Aristoteles’ ein. Aris­toteles vertritt eine konzeptualistische Position. Zeit hat für ihn einer­seits eine der Bewegung physischer Körper nachfolgende Realexistenz, an­dererseits aber auch ein Sein im menschlichen Bewusstsein. Michael Vogt diskutiert eine Reihe möglicher Auflösungen dieser scheinbaren Paradoxie und gelangt zu der Ansicht, dass es sich dabei um zwei verschiedene Arten von Zeit handelt.

Pirmin Stekeler-Weithofer entwickelt seine Überlegungen mit Bezug auf Hegels Kritik an Kants Auffassung von Zeit. Kant leugnet die Real­existenz der Zeit und erklärt sie zu einer vom Subjekt an die Wahr­neh­mungs­si­tu­ation herangetragenen Form der Anschauung. Hegel zeige, so Stekeler-Weit­hofer, dass eine solche Auffassung ‚mystisch‘ sei. Statt­des­sen sei Zeit als reiner (Hegel’scher) Begriff aufzufassen. Auch für Hegel habe Zeit keine Realexistenz. Vielmehr sei sie ein Konzept, über welches die Spre­cher­gemeinschaft immer schon verfüge und an dem der einzelne Spre­ch­er An­teil habe.

Claudia Reich berichtet über die Zeittheorie McTaggarts, eines Phi­losophen des zwanzigsten Jahrhunderts. McTaggarts Überlegungen zur Zeit lassen sich dem Neukantianismus zurechnen und kulminieren in der These, Zeit sei irreal.

Nikos Psarros versucht sich dem Thema ‚Zeit‘ eigenständig zu nähern. Er entwickelt dafür eine neue Begrifflichkeit und vertritt die ungewöhn-liche These, Zeit sei – ähnlich den sogenannten Transzendentalien – eine analoge Kategorie, die in jedem Bereich des Seins eine wesentlich andere Bedeutung habe. Um seine These zu verteidigen, vergleicht er die spe-zifische Zeitlichkeit von Gedanken mit der des physischen Seins.

Andreas Luckner erarbeitet eine Phänomenologie unseres subjektiven Zeiterlebens. Fragen, die ihn dabei interessieren, sind: Wie ist es zu er­klä­ren, dass es uns im Rückblick nach einer Reise so vorkommt, als sei die Zeit langsamer vergangen als sonst, während sie uns unterwegs wie im Flug zu ver­gehen schien? Insbesondere finden auch die Phänomene Lang­e­weile, Kurz­weil, Stress und Muße sein besonderes Augenmerk.

Ergänzt wird das Heft durch ein Interview mit Peter Janich, einem der wichtigsten Vertreter des Konstruktivismus bzw. Kulturalismus. Deren Po­sition versucht, die Gegenstände der Wissenschaften, unter ihnen die Zeit, in lebensweltlichen Praxen zu fundieren. Janich hat vor Jahren eine Protophysik der Zeit erarbeitet und antwortet vor diesem Hintergrund auf un­sere Fragen.

Unsere Rezension befasst sich noch einmal mit Aristoteles’ Zeittheorie, sie bespricht Ursula Coopes Buch Time for Aristotle, einen in jüngster Zeit entstandenen Aristoteleskommentar.

Als Leseprobe werden Ausschnitte aus dem elften Buch der Bekennt­nisse des Augustinus’ abgedruckt, in denen er seine Zeittheorie entwickelt. Sein besonderes Interesse gilt dem Verhältnis von Ewigkeit und Zeit­lichkeit. Auch Augustinus vertritt eine aristotelische Zeitauffassung und arbeitet sie näher aus. Er meint, dass die Zeit zwar zusammen mit der Be­we­gung der irdischen Dinge geschöpft worden sei, aber erst dann Voll­endung finde, wenn sie im menschlichen Bewusstsein gezählt und ge­mes­sen werde, d. h. zu ihrem wirklichen Sein gelange.

Die aristotelisch-augustinische Auffassung der Zeit motivierte auch die Auswahl des Titelbilds. Bei Sonnenuhren fällt bekanntlich der in Folge der Erdrotation wandernde Schatten auf eine von Menschen angefertigte Skala und misst so die Zeit. Auf diese Weise demonstrieren Sonnenuhren ein Zu­sam­­menspiel von kosmischer Bewegung und menschli­cher Vernunft. Son­nen­uhren sind zwar keine besonders genauen Zeit­messer, aber auf Grund ihrer Konstruktion wird das Geheimnis der Zeit, ein Zwitterwesen aus Natur und Geist zu sein, ein Stück weit sinnfällig. Dies ist bei anderen Arten von Uhren nicht in gleicher Weise der Fall.

Peter Heuer

Heft 19 (2012)

TugendCover Heft 19 (2012)

Inhalt

Interview

mit Anselm Müller: Die Moral korrekt deuten

Text

Martin Palauneck, Die Definition der Tugend bei Aristoteles

Kommentare
Johanna Lang: Über das Verhältnis von Eudaimonia und Erziehung
Johann Gudmundsson:Ist Aristoteles’ Definition der Tugend gehaltvoll?
Bruno Langmeier: Einige Bemerkungen zum Zusammenhang von Tugend und Glückseligkeit bei Aristoteles
Peter Heuer: Eine Lanze für die Mesoteslehre
Replik
Martin Palauneck: Eine Anleitung zum Glücklichsein
Leseprobe
Max Scheler: Zur Rehabilitierung der Tugend, ausgewählt und eingeleitet von Christian Kietzmann
Wilhelm Busch: Ach, ich fühl es!
 Zu guter letzt
Kolumne
Gunther Bachmann: Überlegungen zur Tugend
Rezension
Nikos Psarros zu: „Es ist sinnlos, gegen Nägel zu treten“, zu: Hans Albert, Joseph Ratzingers Rettung des Christentums – Beschränkungen des Vernunftgebrauchs im Dienste des Glaubens, Aschaffenburg 2008

Das Heft zum Download


Editorial

Seit geraumer Zeit ist in der moralphilosophischen Debatte Tugend wieder ein Thema. Die Wiederbesinnung auf dieses Konzept ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass zahlreiche ethische Problemesich mit Hilfe der beiden die Neuzeit dominierenden Ethiken, der Ethik Kants und der des Utilitarismus, nur unbefriedigend diskutieren lassen, zumal sie mitunter zu einander widersprechenden Auskünften gelangen. Fragt man z. B., ob Tyrannenmord  moralisch  erlaubt  sei, antwortet die Ethik Kants mit einem entschieden Nein. Sie kommt zu dieser Auskunft, da das Tötungsverbot, wie die Prüfung durch den Kategorischen Imperativ ergibt, ausnahmslose Geltung hat. Der Utilitarismus hingegen gelangt zu einem entschiedenen Ja. Er gibt  seine Antwort in  Folge eines Kalküls, nach dem die  Interessen  der unzähligen unter der Herrschaft leidenden Bürger mit denen des einen Tyrannen  ins  Verhältnis gesetzt und abgewogen werden. Beide Antworten befriedigen  nicht. Mit Blick  auf  das  Elend der Gemeinschaft  scheint uns das Neinzu rigide zu sein, hingegen, mit Blick auf die erforderliche Tötung eines Menschen, das Jazu leichtfertig. Von der Tugendethik erhofft man sich, dass sie hier ausgewogener zu antworten versteht.
Doch was sind Tugenden überhaupt, und ist es denn richtig, dass eine Ethik, die sie in Betracht zieht, in derart schwerwiegenden Fragen zu richtigeren Antworten gelangen kann? Dies zu  diskutieren, ist Aufgabe  des vorliegenden PHILOKLES, für den Martin Palauneck den Leitartikel verfasst hat. Er und seine Mitdiskutanten setzen sich in kontroverser Weise mit der Tugendethik des Aristoteles auseinander. VerwandtenFragen, insbesondere hinsichtlich der Aktualität  der  Tugendethik, widmet sich auch das Interview, für das wir mit Anselm Müller einen Philosophen gewinnen konnten, der wesentlich zur Entwicklung der gegenwärtigen Debatte um Tugenden beigetragen hat.
Die Leseprobe erinnert an eine wichtige Schrift MaxSchelers und damit an einen fast vergessenen Versuch, Tugendethik wiederzubeleben. Abgerundet wird das Heft durch eine  Kolumne von Gunther Bachmann, die sich mit Tugendhaftigkeit auseinandersetzt, insbesondere mit der Frage, ob sie zwangsläufig den Erfordernissen der Wirtschaft entgegenstehen muss, und durch die Rezension eines Buchs von Hans Albert, der aus Sicht des Kritischen Rationalismus versucht, die christliche Religion zu verwerfen. Sie kann als Auseinandersetzung mit der Tugend der Wahrhaftigkeit gelesen werden.

Peter Heuer