Heft 13 (2004)

MarxCover Heft 13 2004

Inhalt

Interview

Interview mit Helmut Seidel: „Wir pflanzen keine dogmatische Fahne auf“ – Zur Aktualität von Marx

Haupttext

Olaf Miemiec: Überlegungen zur Herrschaftskritik von Marx

Kommentare

M. Iorio: Herrschaftskritik bei Marx und Miemiec

R. Raatzsch: Romantik und Kritik

W. Luutz: „Legitime Herrschaft“ auf schwankendem Grund. Herrschaftskritik in der Herrschaftsfalle

P. Grönert: Ist Marx’ Herrschaftskritik widersprüchlich?

R. Jaeggi: Weder Hobbes noch Bakunin

F. Kannetzky: Kooperation, Herrschaft, Utopie

Replik

Leseprobe

Paul Lafargue, Das Recht auf Faulheit. Widerlegung des „Rechts auf Arbeit“ von 1848 – ausgewählt und vorgestellt von Frank Kannetzky

Rezension

Anerkennen – Erkennen – Verkennen. Zu: Axel Honneth: Unsichtbarkeit. Stationen einer Theorie der Intersubjektivität. Frankfurt a.M. 2003 (Robin Celikates)

Das Heft zum Download


Editorial

Dass Totgesagte länger leben, hätten auch diejenigen wissen können, die vor fünfzehn Jahren dem Denken von Karl Marx den Totenschein ausstellten. Jede weitere Beschäftigung mit Marx galt nicht bloß als fortan obsolet, sondern als geradezu anrüchige Komplizenschaft mit totalitärem Denken. Wie schnell sich die Zeiten ändern. Mittlerweile haben viele denkende Beobachter des globalisierten ökonomischen Geschehens den Eindruck, dass bis heute keine ökonomische Theorie der freien Marktwirtschaft der Marxschen an Übersicht, Gründlichkeit und Scharfsinn gleichkommt. So könnte es scheinen, als habe das Zeitalter des Marxismus gerade erst begonnen.

Diese Entwicklung ist durch den Zusammenbruch des Systems sozialistischer Staaten in Osteuropa und Asien erst möglich geworden, der nicht zuletzt auch eine Befreiung des politischen Denkens mit sich brachte, trotz der Phase kollektiver geistiger Lähmung in den Neunziger Jahren. Marx stand seit dem Oktober 1917 im immer länger werdenden Schatten Lenins und dann Stalins; ironischerweise tritt er aus diesem Doppelschatten jetzt heraus. Einer, der sich schon vor fast vierzig Jahren dafür eingesetzt und sich deswegen großen Schwierigkeiten ausgesetzt hat, ist der Leipziger Philosophiehistoriker Helmut Seidel, der sich im Gespräch mit PHILOKLES an die Kämpfe um ein nicht marxistisch-leninistisches Marxbild in der DDR erinnert.

Nun ist Marx alles andere als ein unproblematischer Autor. Der Status seines Geschichtsdenkens, die moralischen Voraussetzungen und impliziten utopischen Hoffnungen seiner ökonomischen Kritik, die so in Spannung stehen zu seiner Absage an einen moralischen Kathedersozialismus und einen utopischen Kommunismus, beschäftigen die Marxrezeption von jeher. Welche besondere, bisher selten problematisierte Rolle seine Herrschaftskritik spielt, untersucht jetzt Olaf Miemiec, z.T. im Anschluss an Raymond Geuss. Die Leseprobe erinnert an Paul Lafargue, den Schwiegersohn von Karl Marx und radikalen Kritiker der Arbeitsgesellschaft, die noch immer die unsere ist. Die Rezension stellt eine neue Publikation von Axel Honneth vor, dem derzeit wohl namhaftesten deutschen Sozialphilosophen aus der ‚Frankfurter Schule‘, für die ein kritischer und unideologischer Umgang mit Marx schon immer selbstverständlich war. Totgesagte leben länger; verkehrte Verteufelungen haben so wenig Bestand wie falsche Glorienscheine. Auch das ist wohl eine Lehre aus der unvoreingenommenen Auseinandersetzung mit Karl Marx heute.

Henning Tegtmeyer

Heft 12 (2003)

KriegCover Heft 12 2003

Aus dem Inhalt

Interview

mit Georg Meggle: „‚Terrorismus‘ ist ein Kampfbegriff“

Haupttext

Ulrike Kleemeier: Der Krieg als Gegenstand philosophischen Denkens

Kommentare

von F. Dietrich, D. Meßelken, P. Stekeler-Weithofer und M. Wolf

Henning Tegtmeyer: Denken und Handeln. Nach dem Terror im Feuilleton

Das Heft zum Download

 


Editorial

Die Welt, in der wir leben, ist nicht friedlich. Das Ende jenes vierzigjährigen bedrohlichen Friedens, den man den ‚Kalten Krieg‘ nannte, hat der Menschheit nicht wie erhofft ein Ende der Geschichte von Kriegen und politischer Gewalt gebracht. Im
Gegenteil. ‚Neue Kriege‘ (Herfried Münkler) destabilisieren weite Teile der Welt, alte Konflikte wie der zwischen Indien und Pakistan drohen zu eskalieren, da kein Gleichgewicht überlegener Mächte sie mehr in Schach hält. Hinzu kommt seit dem 11.9. 2001 ein sich beständig ausweitender ‚Kampf‘ bzw. ‚Krieg gegen den Terror‘. Das
kriegsmüde Europa steht vor der immensen Schwierigkeit, seine Position in dieser Welt(un)ordnung zu finden.

Was immer Philosophie in einer solchen weltpolitischen Lage zu leisten vermag, eines kann sie sicher nicht: die politischen Probleme lösen, welche diese Situation herbeigeführt haben. Doch sie kann uns zumindest helfen, sie überhaupt zu verstehen, indem sie versucht, verstehensnotwendige Grundbegriffe zu erhellen. Das ist die angestammte Aufgabe politischer Philosophie.

Nun zeigt sich, dass wir (noch) in einer Welt leben, in der zu einer gründlichen politischen Philosophie auch eine Philosophie des Krieges gehört. Eine solche Philosophie des Krieges wird allerdings über die Binsenweisheit hinausgehen müssen, dass Krieg ‚im Prinzip‘ ein Übel, ‚in der Praxis‘ aber manchmal unvermeidlich ist. Sie wird sich ferner nicht damit begnügen, Bedingungen zu formulieren, unter denen ein Krieg gerecht(fertigt) sein kann. Vielmehr wird sie versuchen, das Wesen des Krieges selbst in seiner Vielgestaltigkeit zu begreifen. Das jedenfalls fordert Ulrike Kleemeier. Sie plädiert für eine Philosophie des Krieges im Geist von Thukydides, Hobbes, Spinoza oder Clausewitz.

Georg Meggle geht im Interview dem Problem der richtigen Beurteilung politischer Gewalt, insbesondere politischen, auch staatlichen Terrors nach.

Eine ausführliche Leseprobe aus Carl von Clausewitz’ klassischer Theorie des Krieges und eine Rezension zu Jonathan Glovers philosophischer Geschichte der politischen
Menschheitsverbrechen im 20. Jahrhundert beleuchten auf je eigene Weise den Zusammenhang von Krieg, Politik und Moral. Dabei zeigt sich, dass sich das philosophische Nachdenken über den Krieg Moralblindheit ebenso wenig leistenkann wie ein naives Moralisieren.

Henning Tegtmeyer