Heft 21 (2015): Krise der Wissenschaft

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Inhalt

Editorial

 

Interview

Gibt es eine Krise der Wissenschaft? Ein Interview mit Holm Tetens

 

Aufsätze

Wissenschaft in der Krise? Versuch einer Diagnose im Anschluss an Husserl (Henning Tegtmeyer)

Naturerkenntnis und Freiheitsinteresse. Eine Studie zum Freiheitsbegriff in Galileis Wissenschaftskonzeption (Florian Braun)

Krise der Wissenschaft? Krisen der Wissenschaften! (Manuel Reinhard)

 

Leseprobe

John Henry Newman: Wissen als Selbstzweck

 

Rezension

Thomas Nagel: Geist und Kosmos (Christian Kietzmann)

Kolumne

Wo sind all die Rassen hin? (Peter Heuer)

 

Editorial

Wieso sollten ausgerechnet die Wissenschaften in einer Krise stecken? Alles scheint dagegen zu sprechen, dass es sich so verhält: Die Erfolgsmeldungen überschlagen sich. Forscher dringen sowohl im Kleinen als auch im Großen in Bereiche vor, von denen Kenntnis zu erlangen noch vor wenigen Jahrzehnten unmöglich schien. Allenthalben entstehen neue Techniken, die es uns ermöglichen, die Natur mehr und mehr zu beherrschen.

Der Begriff „Krise“ wird gegenwärtig oft leichtfertig verwendet, auch in Zusammenhängen, in denen gar keine existentielle Gefahr besteht. Unbenommen davon gibt es jedoch krisenbehaftete Unternehmungen. Krise bedeutet hier nicht gleich Niedergang oder Verfall. Sie bezeichnet aber in jedem Fall eine Situation, in welcher eine Entscheidung innerhalb einer gefährlichen Entwicklung ansteht, denjenigen Punkt, an dem entweder Rettung naht oder Verfall einsetzt. Philokles stellt die Frage, ob die Wissenschaften sich in einer Krise befinden und worin diese gegebenenfalls besteht. Mit dieser Frage haben wie drei Autoren konfrontiert und präsentieren deren Antworten:

Henning Tegtmeyer weist darauf hin, dass die Frage nicht neu ist. Er erinnert an die Krisis-Schrift Edmund Husserls, mit der dieser vor bereits achtzig Jahren der modernen Wissenschaft insgesamt attestierte, sich in einer tiefen Krise zu befinden. Sie entsteht durch einen Mangel an Philosophie bzw. Metaphysik und zeigt sich z.B. in falsch gesteckten wissenschaftlichen Zielen. Tegtmeyer weist vor allem auf zwei falsche Ideale hin, an denen sich die neuzeitliche Wissenschaft orientiert: das Bacon- und das Galilei-Projekt. In ersterem wird Erkenntnis auf technische Beherrschbarkeit reduziert, letzteres legt eine falsche Idee des Wissens zugrunde.

Die Überlegungen Florian Brauns zeigen ebenfalls problematische Tendenzen in der Entwicklung der modernen Wissenschaften auf und ergänzen das von Tegtmeyer gezeichnete Bild. Braun sieht insbesondere die Freiheit der Forschung gefährdet und damit zugleich die Möglichkeit zwangloser Wahrheitssuche. Dafür gibt es zwei Gründe: Der eine ist wissenschaftsextern und besteht in der Einflussnahme von Politik und Wirtschaft auf die Forschung, der andere ist wissenschaftsintern und liegt in einem selbst auferlegten Methodenzwang.

Manuel Reinhard macht in seinem Beitrag hingegen darauf aufmerksam, dass philosophische Überlegungen sich nicht einfach mit einer Diagnose von Missständen zufriedengeben dürfen, sondern vielmehr in sich selbst reflektiert sein müssen, um nicht in Gefahr zu geraten, ideologisch zu werden. Aus diesem Grund müsse sich auch die Diagnose einer Krise der Wissenschaften selbst der philosophischen Kritik stellen.

Als Interviewpartner haben wir für unser Thema Holm Tetens gewinnen können – einen Philosophen, der entschieden gegen szientistische Tendenzen in den Geisteswissenschaften argumentiert, wie etwa bekannte Versuche, Bewusstseinsphänomene auf neurophysiologische Prozesse zu reduzieren. Auch er hegt den Verdacht, dass sich die Wissenschaften in einer Krise befinden. Gerade ihr offensichtlicher Erfolg berge die Gefahr zur Selbstüberschätzung in sich. Diese zeige sich nicht nur in der unreflektierten Überschreitung von Fächergrenzen, zu welcher die modernen Wissenschaften neigen, sondern auch in einem rein funktionalen Verhältnis zur Natur, welches die Würde und Schönheit des Lebens nicht länger zu sehen erlaubt. Die Natur werde vielmehr nur noch als Material für technische Zusammenhänge begriffen und dabei ihre Zerstörung in Kauf genommen.

Die Buchrezension befasst sich mit dem 2012 erschienenem Buch Geist und Kosmos von Thomas Nagel, welches mit zentralen Lehrmeinungen der Naturwissenschaften ins Gericht geht und zu erklären versucht, wie es im Untertitel der Buches heißt, warum „die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist.“ Mit einer ähnlichen Absicht widmet sich unsere Kolumne einem systematischen Problem der am Evolutionsparadigma orientierten modernen Biologie, nämlich dem darin verwendeten Artbegriff.

Mit der Leseprobe wird dagegen ein allgemeines Verständnis menschlichen Wissens und seines Wertes zur Diskussion gestellt. Der Text ist John Henry Newmans bildungsphilosophischen Vorlesungen The Idea of a University entnommen, in denen er unter anderem der Frage nachgeht, warum Wissen und damit letztlich auch Wissenschaft für uns Menschen überhaupt erstrebenswert sind.

Unser Titelbild zeigt ein Foto von Jaques Henri Lartigue, einem Pionier der französischen Fotografie. Lartigue hat als einer der ersten Momentaufnahmen festgehalten und war Meister darin, einen ironischen Blick auf die unterschiedlichsten menschlichen Unternehmungen zu werfen.

Peter Heuer

Autor: philoklesonline

Onlineauftritt von PHILOKLES. Zeitschrift für populäre Philosophie

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